Politik

Politik macht Stimmung gegen Flüchtlinge in Deutschland - und vermischt einig

Warum das Boot nicht voll ist

Menschrechte sind nicht begrenzt
(Quelle: heldmann.photography)
GDN - "Wir schaffen das!", meinte vor nicht allzu langer Zeit Bundeskanzlerin Merkel und sorgte mit für eine emotionale Willkommenskultur für Menschen, die in Deutschland Schutz suchen. Doch inzwischen äußert sich die "Wir wollen sie nicht"-Brigade immer lauter - und Merkel schweigt.
Während Bundeskanzlerin Merkel vor einigen Wochen mit dazu beigetragen hat, für eine positive Stimmung in Deutschland gegenüber den ankommenden Flüchtlingen zu sorgen ("Wir schaffen das!" - "Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land."), setzen sich jetzt immer mehr die Politiker der Großen Koalition in Szene, die der "Wir wollen die nicht bei uns haben"-Fraktion anzugehören scheinen.
Da gibt es die Hardcore-Flüchtlingsfeinde wie die Herren Söder, der eine neue Mauer bauen will, und Strobl ("Verkauft nicht eure Autos und Häuser, um hierher zu kommen.") und es gibt die, die die Stimmung subtiler negativ zu beeinflussen zu versuchen. De Maizière polemisiert, "die Flüchtlinge" seien oft undankbar, mäkelig beim essen und gewaltbereit. Frau Klöckner wirft ihnen pauschal Masochismus vor und möchte eine Art Rüthlischwur als Bedingung für ein Asylverfahren einführen. Und viele andere, wie Bundespräsident Gauck und jüngst Herr Oppermann fabulieren von "Begrenzung der Zuwanderung".
Doch sie vermischen großzügig Zuwanderung und Asyl. Zuwanderung ist an Bedingungen geknüpft und kann auch quantitativ begrenzt werden, ein Einwanderungsgesetz, wie es schon vor über zehn Jahren die Süssmuth-Kommission vorgeschlagen hatte, gibt es aber nach wie vor nicht. Allerdings würde das nicht die Zuwanderung innerhalb der EU regeln, die durch EU-Recht bestimmt ist und nicht national begrenzt werden kann. Allein daher würde mich interessieren, wie all die "das Boot ist voll"-Rufer dieses Thema in seiner gesamten Komplexität regeln wollen.
Asyl dagegen ist ein Individualrecht des Grundgesetzes und allein qualitativ (nämlich Verfolgung aus politischen oder persönlichen Gründen wie Homosexualität, Zugehörigkeit zu einer verfolgten Gruppe usw.) begrenzt. Dazu gibt es die Gruppe der Kriegsflüchtlinge, die ebenfalls nicht quantitativ begrenzt werden können, denn entweder es gibt den Fluchtgrund Krieg oder es gibt ihn nicht. Auch andere Grundrechte wie Meinungsfreiheit oder Vereinigungsfreiheit werden ja nicht quantitativ gedeckelt.
Ja, Grundrechte werden auch missbraucht. Die Meinungsfreiheit wird zur Hetze gegen Individuen und Gruppen missbraucht, Pressefreiheit wird missbraucht, indem Persönlichkeitsrechte verletzt werden (siehe Kachelmann vs. Bild) und die Vereinigungsfreiheit wird missbraucht zur Bildung von Organisationen, die die Freiheitsrechte abschaffen wollen (wie z.B. Sturm 18 e.V. in Kassel). Und genauso gibt es Einzelfälle, die das Recht auf Asyl missbrauchen. Doch würde der Missbrauch von Grundrechten durch Einzelne dazu führen, sie für alle einzuschränken oder abzuschaffen, hätten gerade die Feinde der Freiheit gewonnen.
Wer gegen die Regeln verletzt, auf die wir uns in nicht immer einfachen Aushandlungsprozessen geeinigt haben und die das Zusammenleben in unserer Gesellschaft in einer Weise ermöglichen, dass die Würde aller geschützt wird und auch die Schwachen eine Chance haben, wird bestraft. Dafür ist die unabhängige Justiz zuständig, und nur diese. Die Gewaltenteilung ist ein wesentliches Merkmal, das unsere Gesellschaft von einer Willkürherrschaft unterscheidet. Politiker oder Journalisten, die die Bestrafung von Asylbewerbern jenseits von Rechtsprechung (“Sofort ausweisen!“) fordern, stellen sich selbst außerhalb unseres Rechtsystem. Eine freie und unabhängige Presse ist existenziell für eine freie Gesellschaft, aber sie ist nicht die "vierte Gewalt"
Übrigens ist genau die Begrenzung Grund für die momentane Herausforderung der Unterbringung hunderttausender Flüchtlinge. Denn um zu prüfen, ob sie einen berechtigten Asylgrund haben bzw. als Kriegsflüchtlinge anerkannt werden können, bedarf es einer individuellen Prüfung. Die dauert und während dieser Zeitdauer möchte der Staat wissen, wo die Menschen sind. Also werden sie in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht und versorgt. Die Freizügigkeit, sich einen Wohnsitz zu suchen und ihren Lebensunterhalt zu verdienen, haben sie nicht. Die Gesetze der Bundesrepublik sind allein der Grund dafür, dass es derzeit täglich neue Flüchtlingsunterkünfte überall im Land geben muss.
Gäbe es statt des eng an Voraussetzungen begrenzten Asylrechts eine, wie die Polemiken gerne suggerieren, unbegrenzte Zuwanderung, bräuchte es weder eine Erstaufnahme noch eine Verteilung. Dann könnte wirklich kommen wer wollte und, wie das im 19. Jahrhundert in den USA der Fall war, sehen, wie er zurechtkommt. Genau das ist aber nicht der Fall.
Herr Oppermann, Herr de Maizière oder Herr Gauck wissen das, dass sie sich stattdessen undifferenziert und pauschal auf solche populistische Weise äußern, ist eine billige Stimmungsmache. Wie allerdings Leserkommentare dazu in Medien oder auf Facebook zeigen, funktioniert das noch nicht einmal. Es wird dann eben nicht nur gegen Flüchtlinge gehetzt, sondern auch gegen die "verlogenen Politiker".
Erwarten sollte man von der Politik stattdessen, das komplexe Thema nicht mit scheinbar einfachen Lösungen anzugehen, sondern es in seiner Differenziertheit zu erklären und zu behandeln. D.h. z.B. ein Einwanderungsgesetz mit allgemeingültigen und klaren Regeln für Zuwanderung von außerhalb der EU und ein humanes individuelles Asylverfahren, das der Not der Menschen, die bei uns Schutz vor Verfolgung suchen, gerecht wird.
Und noch ein paar Zahlen zur unsäglichen “Das Boot ist voll“-Behauptung. Das “Boot Deutschland“ hatte 2002-2004 mehr als 82,5 Millionen Menschen an Bord, seitdem eine sinkende Tendenz bis 80,3 Millionen in 2011. Letztes Jahr waren es mit 81,2 Millionen immer noch 1,3 Millionen weniger als Mitte des letzten Jahrzehnts, und auch damals hat niemand in diesem Land das Gefühl gehabt, es sei zu voll. Die Prognosen deuten auf einen massiven Rückgang der deutschen Wohnbevölkerung in: Sollen es in 15 Jahren noch zwischen 79 und 80 Millionen sein, so werden für 2015 nur noch 74 bis 75 Bewohner Deutschland prognostiziert. Da wird es eher mehr als weniger Platz für Zuwanderung, egal aus welchen Gründen geben.
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