Politik

Zensur oder nicht - das NetzDG und seine Folgen

Streetartkünstlerin Barbara gesperrt


Das NetzDG ist seit 1.1.18 in Kraft (Quelle: Screenshot BMJV)
Offensichtlich rechtswidrig?
(Quelle: "Barbara")
GDN - Über das “Netzdurchsetzungsgesetz (NetzDG)“ - wer denkt sich eigentlich solche Namen aus? - ist bereits viel geschrieben worden. Um das gleich voran zu stellen: Es ist kein Zensurgesetz. Und es ist richtig, wenn der Rechtsstaat mehr als bisher gegen Hass und Hetze im Internet unternimmt. Aber so?
Rechtsprechung auf Twitter übertragen
Quelle: Screenshot Internet
Die Durchsetzung allgemeiner Rechtsnormen ist in einem Rechtsstaat Aufgabe des Staates, also der Exekutive (Staatsanwaltschaft und Polizei) und der Judikative (Gerichte). Es zeichnet ein freiheitlich-demokratisches Staatswesen geradezu aus, dass weder Selbstjustiz noch Gruppenjustiz erlaubt sind. Deswegen sind ja Bürgerwehren und “Sharia Police“ ebenso illegal wie jede Form persönlicher Rachenahme. Und doch hat der Deutsche Bundestag mit dem NetzDG sein originäres Recht an Privatunternehmen delegiert. Klar, man kann von Plattformanbietern erwarten, dass sie das geltende Recht beachten und rechtlich fragwürdig bis verbotene Veröffentlichungen nicht zulassen. Wenn sie es doch tun, müssen sie dafür ebenso wie die Urheber belangt werden können. Doch mit dem NetzDG hat der Bundestag die Verantwortung zur Rechtsdurchsetzung privatisiert, und dies zudem noch an ausländische Unternehmen wie die US-Firmen Facebook, Youtube, Twitter, aber auch das russische VK.com, das sich bisher dem Thema völlig entzieht. Im NetzDG steht übrigens auch sehr sinnvolles, wie z.B. die regelmäßige Berichtspflicht und das transparente Beschwerdeverfahren. Kritisch sind dagegen diese beiden Anforderungen: Ein “offensichtlich rechtswidriger Inhalt“ muss binnen 24 Stunden nach einer Beschwerde entfernt oder gesperrt werden, für einen “rechtswidrigen“ Inhalt gilt eine Sperrfrist von sieben Tagen.
Offensichtlich rechtswidrig?
Quelle: "Barbara"
Das Problem: Es handelt sich um unbestimmte Rechtsbegriffe. Ob etwas rechtswidrig ist, definieren die Gesetze und entscheidet letztlich ein Gericht, aber außer in einem Eilverfahren, wenn etwa ein Betroffener eine Unterlassung beantragt, nicht binnen einer Woche und schon gar nicht innerhalb von 24 Stunden. Und es gibt immer ein transparentes Verfahren mit der Möglichkeit, Rechtsmittel gegen eine Entscheidung einzulegen. Genau daran hapert es bei den Verfahren der Betreiber sozialer Netzwerke: Die Kriterien, was “(offensichtlich) rechtswidrig“ ist und die Verfahren wie die Entscheider und ihre Qualifikationen sind keineswegs transparent. Es gibt keine Rechtsmittel, keine Anhörung, keine juristische Abwägung. Die Folgen sind inzwischen absehbar. Und sie zeigen, dass gut gemeint noch längst nicht gut gemacht ist. So hat z.B. Twitter einen Hass-Tweet der rechtsextremen Politikerin von Storch gesperrt. So weit, so gut. Dabei ist allerdings nicht klar kommuniziert worden, ob es sich bereits um eine Sperrung auf Grund des NetzDG, die ja eine Beschwerde voraus setzt, oder um eine Reaktion von Twitter auf Grund der selbst definierten Compliance-Regeln handelt. Dass anschließend Facebook aber den Account der Titanic sperrte, weil sie sich satirisch zu dem Tweet geäußert hatte, zeigt, wie weit das Rechtsverständnis bei uns und in US-Firmen auseinanderklafft.
Offensichtlich rechtswidrig?
Quelle: "Barbara"
Facebook hat nun noch einen draufgesetzt und Fotos der Streetart-Künstlerin “Barbara“ gelöscht, “weil sie angeblich gegen die Gemeinschaftsstandards verstoßen“, wie “Barbara“ schreibt. Vier der Fotos zeigen wir hier. Wieso sie rechtswidrig sein sollen, erschließt sich nicht. Klar, der Schriftzug über dem Kaktusbild ist in Deutschland verboten (übrigens in den USA nicht), aber nicht um ihn geht es, sondern die Reaktion von “Barbara“. Und auch das “A-Wort“ bezieht sie ja nicht auf den Verfasser des beleidigenden Schildes darüber. Der (fiktive) Brief von “Bernd (!!) H.“ ist allein schon ob dieser Unterschrift als Satire zu identifizieren. Mit der Löschung dieser Bilder verbunden war die Androhung, den Account der Künstlerin, die für ihre Arbeit mit dem renommierten Grimme Online Award ausgezeichnet wurde, als solchen zu löschen.
Was darf Satire im Internet?
Quelle: "Barbara"
“Barbara“ erklärt dazu: “Es waren (aus meiner Sicht) völlig harmlose Beiträge, die sich gegen rechtsradikale Schmierereien und diskriminierende Schilderbotschaften gerichtet haben, ihr kennt meine Arbeit. “¦ Über das Löschen von Beiträgen entscheiden irgendwelche Angestellte von privaten Firmen im Auftrag von Facebook und Instagram, die im Schnellverfahren entscheiden und nicht einmal irgendwelche Gründe für das Löschen nennen. Ich sehe die Freiheit im Internet dadurch mehr als nur bedroht, sie wird aus meiner Sicht dadurch ruiniert. Wie soll Satire im Internet funktionieren, wenn die Satiriker dem Urteil von privaten Firmen ausgesetzt sind, die sich als Richter aufspielen.“ Gravierend sind die Folgen, die die Künstlerin selbst bei sich feststellt: “Es beginnt schon mit der Zensur im Kopf. Ich muss mir jetzt gut überlegen, ob ich einen Beitrag poste oder nicht, denn die Gefahr, dass meine Seite komplett gelöscht wird, ist allgegenwärtig. “¦ Damit musste und konnte ich irgendwie leben, aber willkürliche Zensur meiner Arbeit durch Privatfirmen, die offensichtlich nicht die geringste Ahnung von Satire haben, empfinde ich als unwürdig und es erstickt meinen Schaffenswillen im Hinblick auf die sozialen Netzwerke. Ich kann und werde auf der Straße weiterhin meine kleinen Zettelbotschaften kleben, aber ich werde mir genau überlegen, wie ich mit dem veröffentlichen von Fotos auf Facebook und Instagram umgehe. Beuge ich mich der Zensur und poste nur noch völlig unverfängliche Love-Messages, die keinen möglicherweise verfänglichen Interpretationsspielraum offen lassen und sende damit ein verfälschtes Gesamtbild meiner Arbeit in die Welt, oder lasse ich es ganz und konzentriere mich auf die Straße, wo ich wirklich frei bin?“
Facebook ändert Algorithmen
Quelle: Screenshot Internet
Wenn jetzt noch, wie Mark Zuckerberg kürzlich mitteilte, die Facebook zugrunde liegenden Algorhitmen dahingehend geändert werden, dass vermehrt “Postings von Freunden“ in der Timeline der Nutzer erscheinen, wird sich der Charakter des Netzwerks grundlegend ändern und gerade auch Hasspostings nicht verhindert. Denn wer meldet schon einen Freund? Meist bestehen dort ja eine Geistesverwandtschaft oder zumindest ähnliche Interessenlagen. Hass und Hetze aus irgendwelchen Gruppen werden dann eben über Weiterleitungen (“Teilen“) verbreitet und viel weniger auffallen. Der durch das NetzDG geöffnete Weg führt scheinbar genau zum falschen Ergebnis: Kritiker von Hass und Hetze werden gebannt, die Hetzer selbst werden weniger öffentlich sichtbar ihr Unwesen weitertreiben können.
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